Niederösterreichische Pfadfinder und Pfadfinderinnen
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Eines Sonntag abends

"Traditionen müsst's doch haben, sonst seid's doch ein Schwammerlpflückerklub!", meint meine liebe Maria.


Es ist Sonntag abend, das Wocheende geht zu Ende. Mein GuSp-Trupp begibt sich langsam zur Ruhe es kehrt Frieden in die Familie ein. Meine liebe Maria genießt die wenigen Stunden, welche einem Haushaltmanager bleiben und liest den PPÖ-Brief. Eine, wie ich aus Erfahrung weiss, gefährliche Situation. "Ah, unser Andi hat was geschrieben". Vorsichtig frage ich "hmmm?", denn ich ahne eine Welle Fragen auf mich zukommen.

"Traditionen müsst's doch haben, sonst seid's doch ein Schwammerpflückerklub!". "Ich erinnere mich doch daran, dass der junge Andi mit dem Knotenlernbuch ein ganzes Lager herumgelaufen ist und Spleißen gelernt hat", meint meine gescheite Frau: "Hat das nicht auch was mit Traditionen zu tun?"

Irgendwie bringt mich das zum Denken.

Also lese ich schweren Herzens – weil gerade turnt mich der PPÖ-Brief nicht wirklich an – den Artikel. Die Definition laut Lexikon ist ja ausführlich beschrieben und bieten eine gute Grundlage zur Diskussion (Nett ist auch, dass zwei Seiten weiter der Duden herhalten muss).

Andi meint, dass es auf Grund dieser Beschreibung keine gemeinsame Tradition bei den Pfadfindern und Pfadfinderinnen geben kann. Ein, wie mir scheint, etwas gewagter Ansatz. Ich erinnere mich an die Tradition oder das Ritual der Methodik "Spirale", welche wir doch alle zur Planung unserer Seminareinheiten verwenden müssen. Auch die Verbandsordnung ist im gewissen Sinne die in Schriftform gebrachte Tradition.

Die Weitergabe durch verschiedenen Personen zu verschiedenen Zeiten sagt noch nichts darüber aus, ob es in Sinn oder Inhalt verschiedene Verhaltensmuster sein müssen. Ich verweise in diesem Zusammenhang auf das neue Testament: Vier Evangelisten schreiben immerhin die Basis der weltweit meist verwendeten Religion. Die vier Burschen lebten nicht zur selben Zeit und am selben Ort!

Natürlich hat Andi recht, indem er meint, dass es regionale unterschiedliche Auffassungen und Verfahrensweisen gibt. Aber im Grundsatz bleiben ein paar Rituale und Tradition national und international gleich oder zumindest so ähnlich, dass die Unterschiede irrelevant sind.

Wenn eine Tradition nur eine Hülle oder ein Übergriff ist, so ist der Inhalt was? Wenn es keine relevante Frage ist, ob Traditionen wichtig, schlecht oder gut für Kinder (GuSp) sind, so frage ich mich warum macht sich Andi dann die Mühe einen immerhin dreispaltigen Artikel zu schreiben?

Andi behauptet, dass GuSp mit Traditionen wenig bis gar nichts anfangen? Meine beiden GuSp können sehr wohl was damit anfangen. Jeder Aufzuchtsbevollmächtigte (Mutter oder Vater) wird bestätigen, dass Rituale und Traditionen zum Funktionieren einer Familie unumgängliche sind. Ich versteige mich zur Aussage, dass wir ohne Traditionen (Vorurteilen) gar nicht lebensfähig wären. Unser Signalverabeitungskapazität ist zu gering, als dass wir für jede gegebenen Situatione eine eigenen Entscheidung mit allen Konsequenzen durchdenken koennen.

Wir haben eine Menge an Verfahrensabläufen (Rituale) entwickelt, welche das Zusammenleben in einem GuSp-Trupp möglich machen. Diese aufzugeben heisst uns selbst aufzugeben. Der oben erwähnte Schwammerlzüchterverein hat vermutlich andere Rituale als die PPÖ. Aber genau das ist der Punkt: Wir unterscheiden uns als Marke PPÖ durch unsere Traditionen und Ritualen von anderen Jugendorganisationen und nur durch diese. Werte und Grundsätze sind nichts anderes als Überzeugungen basierend auf Erfahrung.

Ich bin in keinem Fall für ein Verbot des Hinterfragens, aber ich denke, dass ein Baum ohne Wurzeln keine Früchte trägt. Ein evolutionäre Entwicklung unserer Bräuche ist anzustreben. Jede Entwurzelung führt zwangsläufig zur Beliebigkeit.

Was GuSp weiterhilft, ihr Stufenziel (huch, schon wieder eine Tradition) zu erreichen, kann zwangsläufig nur die Zukunft zeigen. Eine traditionslose Bewegung steuert nirgends hin. Meiner Überzeugung nach ist die Bewahrung und Pflege unserer Traditionen ein Überlebensfrage unsere Gemeinschaft - wobei ich unter Pflege eben die Anpassung an geänderte Bedingungsfelder verstehe.

Die Auseinandersetzung mit unseren Traditionen und Ritualen ist eine Auseiandersetzung mit uns selbst und das ist das spannende Thema der nächsten Jahre, das für das Überleben der PPÖ entscheidend sein wird.

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VON WILHELM NAGY