Unser
Halstuch: Nur ein Stück Stoff?
Ist
unser Halstuch nur ein Stück Stoff? Oder ein Symbol für uns Pfadfinder?
Oder vielleicht gar der Ausdruck der Fixiertheit auf die eigene Gruppe?
Wie
in den meisten Ländern der Welt hat jede Pfadfindergruppe ihr eigenes Halstuch,
so auch in Österreich. Niederösterreich bildet mit seinem einheitlichen
Gruppenhalstuch ja eine Ausnahme. Natürlich besitzt jede Nation darüberhinaus
ein gemeinsames Auslandshalstuch.
Ein
eigenes Gruppenhalstuch ist sicherlich nützlich, da man sieht, wer zu welcher
Gruppe gehört. Die Problematik, die sich dadurch ergibt, ist nicht auf den
ersten Blick sichtbar, sondern sie zeigt sich erst nach genauerer Betrachtung.
Das
"Halstuch-Denken"
In
Österreich ist das sogenannte "Halstuch-Denken" weit verbreitet.
Der Pfadfinder sieht sich nur als Mitglied seiner Gruppe: "Ich trage das
Halstuch der Gruppe 34, also bin ich auch von der Gruppe 34 und von nirgendwo
anders." Sicherlich kann man stolz sein, gerade in dieser Gruppe Mitglied
zu sein, aber zu leicht vergisst man dabei, dass man Mitglied einer internationalen
Verbindung ist und dass es die wirklichen Pfadfinder nicht nur in der eigenen
Gruppe gibt. Die Tatsache, dass man ja eigentlich nicht nur bei einer bestimmten
Pfadfindergruppe dabei ist, sondern auch bei der PPÖ und damit bei WOSM oder
WAGGGS, wird von vielen Pfadfindern nur am Rande realisiert.
Auslandslager
scheitern oft an den Finanzen
Dieser
Effekt wird zumindest durch das einheitliche Auslandshalstuch ausgemerzt, aber
wann trägt man dieses Halstuch? Eigentlich nur auf einem Auslandslager. Warum
nimmt man an einem solchen Lager teil? Man repräsentiert sein Land und nicht
seine Gruppe, man ist quasi ein Botschafter. Spätestens jetzt realisieren
die meisten, dass sie Mitglied einer internationalen Verbindung sind, wenngleich
sie in erster Linie ihr Land und nicht die Pfadfinder an sich vertreten. Demnach
sollte das Problem ja gar nicht existent sein, allerdings wird nur ein geringer
Teil der Jugendlichen auf einem Auslandslager dabei sein, da es meistens am Finanziellen
scheitert. Die großen Auslandslager kosten nun einmmal extrem viel und somit
wird immer nur ein kleiner Teil an einem solchen Lager teilnehmen können.
Sicherlich werden viele Jugendliche an einem internationalen Lager in Österreich
teilnehmen, allerdings werden sie hier eher das Gruppenhalstuch tragen, diese
Erfahrung habe ich zumindest am b.open gemacht. Somit fehlt dann meisten das "einschneidende"
Erlebnis, durch welches ihnen die mögliche Fixiertheit aufgezeigt wird.
Auch viele Erwachsene betroffen
Das
Halstuch-Denken betrifft aber nicht nur die Jugendlichen, sondern auch viele Erwachsene.
Als Resultat wird im Jahresprogramm mit großer Wahrscheinlich nicht der
Punkt "Zugehörigkeit zur PPÖ" auftauchen. Dadurch werden viele
Jugendliche nie die Erfahrung machen, die einige wenige auf einem World Jamboree
machen. Eines der Hauptprobleme, das daraus resultiert, ist jenes, das vor allem
Führer betrifft. Angenommen ein Führer wechselt aufgrund eines besseren
Jobs seinen Wohnort. Er wird wahrscheinlich nicht mehr in seiner ursprünglichen
Gruppe eine Stufe betreuen können. Höchstwahrscheinlich
wird aber in seiner neuen Umgebung eine andere Pfadfindergruppe existieren, wo
er eigentlich wieder aktiv werden könnte. Durch das Halstuch-Denken ergibt
sich nun folgendes Problem: Er fühlt sich nur zu seiner alten Gruppe zugehörig
und will gar nicht probieren, wieder neu anzufangen. Diese Erklärung scheint
zwar auf den ersten Blick recht unglaubwürdig, nur sind mit Sicherheit schon
zu viele Führer deswegen aus dem aktiven Pfadfinderleben ausgeschieden. Diese
Einstellung kann man allerdings auch wiederum verstehen, denn wer will schon sein
Versprechenshalstuch gegen ein neues, anderes Halstuch "tauschen". Aber
sogar in Niederösterreich, wo es keine eigenen Gruppenhalstücher gibt,
existiert das Halstuch-Denken. Die Fixiertheit auf die eigene Gruppenfarbe wird
früher oder später ein großes Problem nach sich ziehen. Schon
heute plagen einige Gruppen Führermängel, und die momentane wirtschaftliche
Entwicklung, die ein größeres Maß an Flexibilität im Job
erfordert (Wohnortwechsel), wird leider ein paar Gruppen das weitere Arbeiten
schwer machen zu schwer machen.
Halstuch-Denken
verhindert frischen Wind
Vor
allem bei den RaRo wirkt das Halstuch-Denken enorm. Ein großer Teil von
ihnen sind Studenten, weshalb viele nach Wien ziehen. Die Reisestrapazen sind
eine nicht unwesentliche Belastung, wodurch sich manche nicht in der Lage sehen,
in ihrer Gruppe eine Stufe zu betreuen. In Wien gibt es genügend Gruppen,
wo diese Pfadis unterkommen würden, jedoch durch eben jenes Halstuch-Denken,
werden viele nicht zu einer Wiener Gruppe gehen. "Ich bin ja niederösterreichischer
Pfadfinder und kein Wiener!" Hier muss man ansetzten, denn da die Arbeit
in vielen Gruppen sehr unterschiedlich ist, würde ein frischer Wind sicherlich
viel Positives bewirken können.
Obwohl
ein Halstuch im Prinzip nichts anderes als ein Stück Stoff ist, symbolisiert
es dennoch sehr viel. Das Jamboreehalstuch etwa symbolisiert für mich die
weltweite Verbundenheit der Pfadfinder; die Möglichkeit, miteinander im Einklang
zu leben, oder zumindest mit genügend Toleranz, um ein Leben führen
zu können. Ein einheitliches Halstuch, wie es auf Großlagern der Fall
ist, stellt so etwas wie ein Weltpfadfindertuch dar. Man ist nicht Abgesandter
eines Landes - man ist international und ohne Vorurteile gegenüber anderen.
Man weiß, dass man an die selbe Sache "glaubt".
Weltweit
verbunden
Deswegen
sollte es uns ein Anliegen sein, die Jugendlichen davon in Kenntnis zu setzen,
was es heißt, ein Pfadfinder zu sein, international und ohne Grenzen. Ein
Halstuch bedeutet nicht nur, dass man Wiener Neustädter Pfadfinder ist, sondern
dass man "Welt-Pfadfinder" ist, zugehörig zu sämtlichen Pfadfinder
der Welt. Unser Ziel sollte es weiters sein, den Kindern das Wissen zu vermitteln,
dass man in erster Linie die Pfadfinder an sich und erst in zweiter Linie seine
eigene Gruppe repräsentiert. Diese Ziele werden nicht leicht zu verwirklichen
sein, allerdings sind sie unabdingbar, um ein weiters Ausscheiden von engagierten
Pfadfindern zu verhindern.
Dieser
Text wurde nach Teilnahme am 20th World Scout Jamboree in Thailand und nach etlichen
Gesprächen innerhalb des Kontingents geschrieben. Am Jamboree wurde mir das
Problem des Halstuch-Denkens bewusst, von welchem ich selber betroffen war. Es
wurde mir bewusst, wie sehr etliche auf die eigene Gruppe fixiert sind und außer
Acht lassen, dass alle Pfadfinder und Pfadfinderinnen auf der ganzen Welt Mitglieder
einer riesengroßen Familie sind.
Diese
Verbundenheit beginnt aber nicht erst jenseits der Grenzen unseres Heimatlandes,
sondern schon vor unserer Haustüre." (Unterwegs, Handbuch für Späher
und Guides, 9.Auflage 1992)
Andreas
Stickler ist Rover in der Gruppe Wiener Neustadt 1.